Es war einmal ein Ehepaar, das sich schon lange Zeit nach einem Kind
sehnte. Aus ihrem Haus konnten die beiden auf einen großen Garten
blicken, der mit den schönsten und buntesten Blumen gesegnet war.
Allerdings gehörte er einer gefürchteten Zauberin, die um ihn herum eine
dicke Mauer gezogen hatte.
Eines Tages erspähte die Frau in dem Garten
ein Beet mit frischen Rapunzeln. Sie bekam große Lust, von dem
herrlichen Gewächs zu essen. Aufgrund des Wissens, nicht an die
Rapunzeln heranzukommen, fühlte sie sich zunehmend elendig. "So gerne
würde ich von ihnen kosten. Es möchte meinen Tod bedeuten, sollte ich
nie von ihnen essen können", sprach sie zu ihrem Mann. Er wollte seine
Frau nicht sterben lassen, kletterte in der Nacht über die Mauer und
brachte seiner Frau einige der Pflanzen. Diese bereitete sofort einen
Salat zu, den sie verschlang.
Allerdings wurde ihre Lust auf die Rapunzeln immer größer, so dass
ihr Gemahl erneut über die Mauer kletterte. "Was erlaubst du dir, auf
meinem Grundstück herum zu trampeln?", hörte er eine Stimme. Die erboste
Zauberin stand vor ihm. Der Mann sprach zitternd: "Ich wollte kein Dieb
sein, aber meine Frau war so gierig auf die köstlichen Rapunzeln, dass
ich sie ihr einfach bringen musste." "Nun, dann sei es so", sprach die
Zauberin und fügte an: "Du kannst dir so viele Rapunzeln nehmen, wie du
willst. Zum Tausche jedoch gehört das erste Kind aus eurer Ehe mir." Der
Mann bejahte den Tausch und nur wenige Woche später war seine Frau mit
einem Mädchen schwanger.
Sogleich als das Kind geboren war, kam die
Zauberin und holte sich, was ihr der Mann versprochen hatte. Sie nannte
das Mädchen, das wunderschön war, Rapunzel. Im Alter von zwölf Jahren
sperrte die Zauberin Rapunzel in einem treppenlosen Turm, der nur oben
ein schmales Fenster hatte. Um
in den Turm gelangen zu können, rief die Zauberin jedes Mal: "Rapunzel,
Rapunzel! Lasse mir dein Haar hinab." Rapunzel hielt dann ihre langen
Haare aus dem Fenster, so dass die Zauberin hinaufsteigen konnte.
Einige Jahre später ritt der Sohn des Königs an dem Turm vorbei und
hörte die zarte Stimme der singenden Rapunzel. Da er nicht in den Turm
einkehren konnte, ritt er nach Hause, doch die Erinnerung an die Stimme
ließ ihm keine Ruhe. So ritt er immer wieder zu dem Turm, hörte eines
Tages die Zauberin ihren Spruch rufen und beobachtete, wie sie
hinaufkletterte. Er wartete, bis sie wieder verschwunden war und rief in
der Dämmerung ebenfalls den Spruch. So
fielen auch für den Königssohn die prächtigen Locken hinunter und er
stieg hinauf. Rapunzel war schnell von der Schönheit des jungen Mannes
beeindruckt. Sie entschied, mit ihm gehen zu wollen, doch konnte nicht
hinabsteigen. Also bat sie ihn, ihr bei jedem Besuch ein Stückchen Seide
mitzubringen, aus der sie eine Leiter flechten könne.
Eines Tages jedoch erzählte Rapunzel der Zauberin im Eifer von dem
Königssohn. Voller Zorn schnitt sie ihr die Haare ab und brachte das
Mädchen in eine noch verlassenere Gegend. Als
der Königssohn in der nächsten Nacht seinen Spruch rief, war es die
Zauberin, die Rapunzels Haare hinab ließ. Oben angekommen bemerkte er
den Schwindel, sprang aus dem Turm und landete in einem spitzen
Dornenbusch, der ihm das Augenlicht nahm. So irrte er lange Zeit umher,
ernährte sich nur von dem, was er am Wegesrand fand und trauerte um
seine geliebte Rapunzel. Irgendwann jedoch, nach langer Zeit und viel
Kummer kam er in die Gegend, in der Rapunzel ärmlich lebte. Als das
schöne Mädchen ihren Liebsten sah, weinte sie so sehr vor
Wiedersehensfreude, dass ihre Tränen die Augen des Königssohns trafen,
der daraufhin wieder sehen konnte. Er führte sie in sein Königreich, wo
sie lange und voller Glück lebten.
Text von http://maerchen.woxikon.de